Ein Tag im Weltnaturerbe Wattenmeer

Blick auf eine große Strandkrabbe in einem Erdloch im Watt.

Es ist 9 Uhr morgens. Ausgerüstet mit Gummistiefeln, Wattrucksack, Eimer, Schälchen, Wattgabel und natürlich sehr viel Sonnencreme stehe ich am Deich in der Nähe vom Norddeicher Strand. Die Liste der Teilnehmenden gezückt, warte ich auf die Teilnehmer*innen einer Wattführung, die in einer halben Stunde beginnen soll. Die Veranstaltung nennt sich „Stranddetektive“ und ist an Kinder zwischen 6 und 12 Jahren gerichtet.

Glücklicherweise kommen alle Teilnehmenden pünktlich und ich kann wie geplant mit der 90-minütigen Wattführung beginnen. Ich fange mit meinen Erklärungen am Deich an – was seine Aufgaben sind, wie Menschen sich früher vor Sturmfluten schützten und welche Aufgaben die Deichschafe haben.

Die nächste Station ist der Strand, von dem aus man auch die beiden vorgelagerten Inseln Juist und Norderney sieht, was mir die Kinder auch richtig beantworten konnten. Ich frage sie, was sie meinen, wie viele verschiedene Arten hier im Weltnaturerbe Wattenmeer leben: „100?“ „500?“ „2000?“ Nein, es sind sogar 10000 Arten! Die Augen werden groß – eine gute Voraussetzung, um jetzt mit den Kindern auf dem Wattboden nach verschiedenen Lebewesen zu suchen. Tatsächlich haben wir heute Glück und finden vor allem besonders viele verschiedene Muschelarten; der Wind kam einige Zeit von seewärts und scheint Miesmuscheln und Pazifische Austern, die eigentlich vor den Inseln vorkommen, Richtung Strand gedrückt zu haben. Nachdem die Kinder selbst gesucht haben, erkläre ich ihnen im Kreis, was sie alles gefunden haben. Das Highlight sind wie immer die Strandkrabben. Ich zeige ihnen, woran man Männchen und Weibchen unterscheiden kann. Für Staunen sorge ich wieder, als ich zeige, dass manche, scheinbar tote Krabben, gar nicht tot sind, sondern nur Häutungen, die man auch hinten aufklappen kann – dort, wo die Krabbe aus ihrem alten Panzer gestiegen ist.

Nach dem Wattboden sehen wir uns das Innere des Watts an: Ich grabe mit der Wattgabel mehrere Löcher, in denen die Kinder lebende Muscheln und Würmer entdecken. Die Begeisterung ist groß, als die Muscheln, nachdem wir sie wieder auf den Wattboden gelegt haben, damit beginnen, sich einzugraben und man deutlich ihren milchig weißen Grabefuß bei der Arbeit sehen kann. So wird klar: Muscheln sind eben nicht nur so etwas Ähnliches wie Steine, sondern Lebewesen! Außerdem zeige ich allen noch die zwei häufigsten Wurmarten im Watt: den berühmten Wattwurm, der die „Wattspaghetti“ produziert, und den Seeringelwurm, der mit seinen Borsten aussieht, als hätte er viele kleine Beine.

Weiter geht es dann zur ersten Buhne. An den Steinen sollen die Kinder nach Strandschnecken suchen; ich selbst hole mir auch eine. Nun folgt ein Teil der Veranstaltung, bei dem vor allem die Eltern erst skeptisch sind: das „Schnecken-Schaukeln“. Indem man eine Schnecke in seiner Hand kreist, lässt man sie glauben, sie sei in einer Welle gefangen und sie kommt aus ihrem Haus raus, was ich auch alle Teilnehmenden machen lasse. Wieder ernte ich Staunen, als diese Technik tatsächlich funktioniert.

Zum Abschluss gehe ich mit allen Teilnehmenden tiefer in den Schlick rein, um ihnen zu zeigen, dass man im Watt auch ordentlich einsinken kann und man deswegen nicht auf eigene Faust tiefer reingehen sollte. Dieser Teil erfordert immer besonders hohe Aufmerksamkeit, damit niemand weiter reingeht als ich selbst – sodass ich sicher gehen kann, dass ich noch alle gut erreichen kann, sollten sie stecken bleiben. Bei ein paar Kindern muss ich auch mit anpacken, um ihre Gummistiefel wieder aus dem Schlick zu befreien, aber eine größere Buddelaktion bleibt uns allen erspart und die Kinder wirken zufrieden.

Ich verabschiede mich und gehe zurück zur Seehundstation Nationalpark-Haus. Hier treffe ich meine Kolleg*innen wieder; ihre Wattführungen und Vorträge sind wohl ebenfalls gut verlaufen. Als nächstes steht für mich eine Schicht in der Entdeckerstation Wattenmeer an, unsere Zweigstelle direkt am Norddeicher Strand in einem umgebauten Container. Noch habe ich aber Zeit und kann noch ein paar Dinge für die Entdeckerstation zusammenpacken, ein paar Aufgaben im Büro erledigen und etwas essen.

Mittags geht es dann mit einer Kollegin in die Entdeckerstation, in der Interessierte über verschiedene Wege sich über das Wattenmeer und seine Bewohner informieren können. Heute ist viel los am Strand und schnell strömen Leute auch zu uns. Am meisten Aufmerksamkeit ziehen dabei unser „Sandkasten“ mit verschiedenen Strandfunden, vor allem verschiedenen Muscheln, sowie die Stereomikroskope auf sich, unter denen man sich die verschiedenen Strandfunde genauer ansehen kann. Diese Angebote locken nicht nur Kinder an, sondern auch Erwachsene. Besonders spannend sind für die meisten dabei die Dinge, die keine Muscheln sind. Darunter sind zum Beispiel Schulp, also die innere Schale einer Sepia, sowie ein Rochenei, auch Nixentäschchen genannt. Bei letzterem denken viele nämlich erst, es sei nur eine seltsame Alge – womit das Ei genau das erreicht, was es soll. Ich freue mich, dass heute so viele Interessierte zu uns kommen und beantworte ihnen gerne ihre Fragen. Auch kleinere Kinder verbringen dabei viel Zeit bei uns und wollen jeden einzelnen Strandfund erklärt bekommen, was genau das ist, was wir erreichen wollen. Viele erzählen alles, was sie bei uns lernen, direkt stolz ihren Eltern weiter, was mich sehr glücklich macht.

Gegen Nachmittag packen wir die Stationen aus der Entdeckerstation zusammen und schließen ihn. Die letzten Gäste gehen auch erst jetzt in der letzten Minute. Wir radeln zurück zur Seehundstation Nationalpark-Haus, wo nur noch ein paar letzte Sachen zu organisieren sind. Schließlich machen wir Feierabend. Heute war ein erfolgreicher Tag!

Hanna Rittinghaus

Umweltpraktikantin 2022

Ort

Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer