Lebensraum Hutebaum

Ein knorriger Hutebaum ohne Blätter auf einer Weide

Ich sehe sie schon von Weitem, als ich auf die Fläche zufahre: alte, knorrige Bäume, die die kahlen Äste ihrer breiten Kronen in den Himmel recken, als wollten sie die laue Frühlingluft damit auffangen. Zu Fuß nähere ich mich den einzeln stehenden, von Wind und Wetter geprägten niedrig wachsenden Buchen auf der Weidefläche voller Ehrfurcht.

Neben den drei alten Buchen geraten auch drei alte Bergahorne am Fuße einer kleinen Blockschutthalde in mein Sichtfeld. 

Es ist April und ich bin auf den Hutungen der Gemeinde Ehrenberg im Oberen Ulstertal im Biosphärenreservat Rhön unterwegs auf der Suche nach Hutebäumen. Als sogenannte Hutungen werden die Weideflächen an den Berghängen der Rhön bezeichnet, die früher als Allmende von den Tieren der Dorfbewohner beweidet wurden und auf denen bis heute im Sommer Rinder saftiges Gras fressen. Die sogenannten Hutebäume sind einzeln stehende, alte Bäume, meistens Buchen, die durch einen charakteristischen Wuchs durch den Verbiss der Weidetiere gezeichnet sind: Sie besitzen eine ausladende Krone, tief sitzende Äste und oft eine kuriose Wuchsform. Jeder Baum ist ein beeindruckender Anblick. Und über diese Hutebäume darf ich während meines Commerzbank-Umweltpraktikums meine Masterarbeit schreiben. Denn es ist wenig bekannt über die alten, wettergegerbten Bäume auf den Weideflächen der Rhön. Als Schutz vor Sonne und Regen waren sie wichtig für Hirten und auch für das Vieh, jedoch gibt es nicht mehr allzu viele dieser Relikte der traditionellen Kulturlandschaft der Rhön.

Auf den Hutungen der Gemeinden Hilders und Ehrenberg suche ich daher nach alten Hutebäumen und dokumentierte ihren Erhaltungszustand. Dabei nehme ich sogenannte Mikrohabitate auf: Kleinstrukturen wie Totholz, Höhlen, Insektengänge, Risse, Spalten, aber auch Pilze und Moos- bzw. Flechtenbedeckung. Auch die sechs Hutebäume auf meiner heutigen Fläche weisen einige dieser Mikrohabitate auf. Ich entdecke hohle Stämme, Ast- und Kronenbrüche, zahlreiche Astlöcher, Spalten und einiges mehr. Es besteht kein Zweifel: Diese alten Bäume besitzen durch ihre hohe Anzahl an Mikrohabitaten eine hohe ökologische Wertigkeit. Denn in Spalten, Höhlen und Totholzstrukturen befindet sich wertvoller Lebensraum für Pilze und Insekten. Aber auch Fledermausquartiere und Brutplätze für Vögel können in solchen Mikrohabitaten stecken. Mit einem Maßband messe ich den Stammumfang auf Brusthöhe eines jeden Baumes. Eine der Buchen besitzt einen Umfang von stolzen 580 cm. 

Ich sehe mir die Fläche genauer an. Inmitten von Ansammlungen an Steinen, die über die Weidefläche verteilt sind, wachsen junge Buchen heran. Sie sehen aus wie Büsche, da die Triebe von den Weidetieren stets verbissen werden. Doch im Schutz der Steine können sie zumindest heranwachsen. Der Hutebaum-Nachwuchs auf dieser Fläche scheint zumindest gesichert. Doch nicht auf allen Hutungen, die ich mir angeschaut habe, ist das so. Immer wieder treffe ich auf abgestorbene Hutebäume, wobei es weit und breit keine nachwachsenden Buchen gibt. Der Verbiss durch die Weidetiere ist dort wohl zu stark. Hier helfen wohl nur gezielte Anpflanzungen von Buchen und deren Schutz vor den hungrigen Mäulern der Rinder, damit auch in Zukunft Hutebuchen auf den Hängen der Rhön wachsen können. 

Fiona Purucker

Umweltpraktikantin 2025

Ort

Biosphärenreservat Rhön