Ein Tag in einer Miniaturwelt

Blick auf eine Hallig im Wattenmeer.

Vom südlichsten Bundesland Deutschlands (Bayern) hat es mich in das nördlichste (Schleswig-Holstein) verschlagen, von der Großstadt in die Einsamkeit der Halligwelt. Diesen Sprung habe ich gewagt, als ich mich als Münchner Zahnmedizinstudentin für das Commerzbank-Umweltpraktikum auf der Hamburger Hallig im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer beworben habe.

Als bayrisches Madl musste ich erst einmal lernen, was so eine Hallig überhaupt ist, nämlich eine Erhebung aus Marschboden in der Nordsee, die aber im Gegensatz zu Inseln nicht eingedeicht ist und somit bei Sturmfluten überflutet werden kann – bis auf die Warften, die das bewohnte Zentrum der Halligen darstellen.

Das Leben auf so einer Hallig ist speziell, die zehn Halligen der Nordsee – übrigens die einzigen der Welt – bilden einen Mikrokosmos, in dem die Uhren anders laufen, vor allem orientiert an den Gezeiten, denn einige der Halligen sind nur per Schiff und auch das nur bei Hochwasser zu erreichen. In diesem Jahr dreht sich hier im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer vieles um die Biosphäre der Halligen, denn diesem einzigartigen Lebensraum ist das Themenjahr gewidmet. Heute darf ich, die Halligbewohnerin auf Zeit, eine Stipvisite auf zwei andere Halligen unternehmen und so noch mehr über das Leben dort lernen.

Bei strahlendem Sonnenschein stechen wir in See mit Kurs auf unser erstes Ziel, Hallig Gröde. Hier haben wir die Möglichkeit, mit einer Bewohnerin der Hallig zu sprechen und so das Halligleben aus erster Hand kennen zu lernen. Einfach mal schnell zum Supermarkt – das ist hier nicht möglich. Entweder man bestellt oder man fährt für einen „langen Tag“ aufs Festland. Da sich die Gezeiten hier an der Nordsee jeden Tag um etwa 50 Minuten verschieben, gibt es allerdings nur zwei Mal pro Monat die Möglichkeit, morgens bei Hochwasser weg und abends beim nächsten Hochwasser wieder zurück zu fahren. Auch die medizinische Versorgung ist nicht ganz einfach, denn bis der Hubschrauber da ist, kann es gut und gerne eine Viertelstunde dauern. Daher ist bei allen Arbeiten besondere Vorsicht angesagt und zudem eine regelmäßige Erste-Hilfe-Schulung Pflicht. Und wie steht es mit Nachwuchs auf den Halligen? Tatsächlich verfügt Gröde über eine eigene Schule, die allerdings derzeit ruht, da es kein schulpflichtiges Kind gibt. Bis zum Hauptschulabschluss wird auch ein einziges Kind hier unterrichtet, danach muss allerdings aufs Festland gewechselt werden.

Unsere nächste Station ist Hallig Oland, die Hallig mit dem einzigen reetgedeckten Leuchtturm Deutschlands. Hier gibt es nur eine einzige Warft, also wahrhaftig Leben auf engstem Raum, eben in einer Miniaturwelt. Eifrig beginnen unter den Besuchern schon die Diskussionen: „Könntest Du Dir das vorstellen? Leben auf einer Hallig?“ Was soll ich sagen, ich Glückspilz darf das ja gerade drei Monate lang testen, auch wenn „meine Hallig“ durch die Verbindung zum Festland, die mit Fahrrad und sogar Auto befahren werden kann, Luxus pur ist. Randvoll mit vielen Eindrücken kehre ich abends in die Ruhe und Einsamkeit der Hamburger Hallig zurück – ich genieße meine Zeit hier in vollen Zügen, aber dauerhaft, gerade als Berufstätiger, scheint mir so ein Leben nur schwer möglich. Umso mehr freue ich mich, dass noch zwei Monate hier vor mir liegen und ich hoffentlich bei meiner Öffentlichkeitsarbeit hier viele Menschen für die Nordsee und vor allem den Lebensraum „Halligen“ begeistern kann.

Maresa Anders

Umweltpraktikantin 2023

Ort

Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer