Wald, Wiese und Warzenbeißer
Der Arbeitstag im Nationalpark beginnt um 7 Uhr morgens. Inzwischen habe ich mich an die frühe Zeit gewöhnt und genieße die morgendlichen Stunden, wenn außer den Mitarbeitern noch niemand unterwegs ist. Wie jeden Morgen fahre ich zuerst ins Buchenhaus, eine Informationseinrichtung mit Wildtierpark am Rande des Nationalparks. Hier habe ich noch kurz Zeit, mir Gedanken um die heutige Führung zu machen, bevor es um acht Uhr auch schon losgeht.
Mit Ranger Uwe fahre ich raus in den Nationalpark zum Eingang Kirchweg, von wo aus wir gleich eine Kindergartenführung durchführen. Das heutige Thema ist „Was hüpft und fliegt in Wald und Wiese“ – Teil einer Führungsreihe für Vorschulkinder. Letzten Monat war noch „Bach und Tümpel“ dran, wo meine Mitpraktikantin Målin und ich auch schon eine Führung übernehmen konnten. Bei dem neuen Thema bin ich zum ersten Mal dabei und ähnlich gespannt wie die Kinder.
Schon geht es los. „Was sagt uns dieses Schild?“, fragt Uwe und zeigt zu dem gelben Schild mit der Eule. „Wir gehen jetzt in den Nationalpark!“ Richtig! Über die kommenden drei Stunden versuchen wir, den Kindern die Tiere von Wald und Wiese näher zu bringen. Neben einem Ausflug zum Fuchs- und Dachsbau geht es dabei hauptsächlich um die Kleinsten: die Ameisen und Blattläuse, Käfer und Heuschrecken.
Das Wetter ist schön sonnig und ich genieße es, draußen zu sein. Zur Frühstückspause gehen wir zum Christians Eck, einem kleinen Aussichtspunkt. Von hier aus hat man einen herrlichen Blick über das Buchenmeer des Nationalparks. Die Vögel zwitschern und ein dicker, schillernder Käfer brummt vorbei. Uwe dreht sich zu mir um und meint: „Na, ist das nicht der schönste Job der Welt?“
Zum Abschluss teilen wir die Kinder in Forschergruppen auf und lassen sie mit Köcher und Becherlupe auf die Lebewesen der Warzenbeißerwiese los. Am meisten Spaß haben die Kinder am Fangen der kleinen Heuschrecken. Ich versuche, sie zu ermutigen, auch mal eine Ameise oder eine Spinne mitzunehmen. Die Spinne sorgt für Entsetzensrufe bei einem Mädchen, aber als ich sie in der Becherlupe habe, wird sie doch von allen neugierig beäugt.
Dank Uwe sehen wir zum Schluss sogar einen Warzenbeißer, den Namensgeber der Wiese. Die große Heuschrecke gilt in Deutschland als gefährdet, da sie unberührte oder wenig genutzte Lebensräume bevorzugt. Die Kinder beobachten den Warzenbeißer mit einer Mischung aus Misstrauen und Faszination. Mit einem kräftigen Hüpfer springt die Heuschrecke auch schon aus dem offenen Terrarium heraus. Wir lassen sie ziehen und entlassen auch die anderen Tiere wieder in die Freiheit, nachdem Uwe ein paar Worte über sie gesagt hat.
Damit endet die Führung und für mich ein weiterer Morgen im Nationalpark. Zurück zum Büro fahren wir am Edersee vorbei. Die Sonne glitzert auf dem Wasser, weiter hinten taucht Schloss Waldeck aus dem Buchenmeer auf und ich muss Uwe zustimmen: Es gibt schlechtere Arbeitsplätze.
Ines Plagemann
Umweltpraktikantin 2019
Ort
Nationalpark Kellerwald-Edersee