„Verhaltenskreative“ Zwerge
Mein Wecker klingelt morgens um 7, ich stecke meinen Kopf aus dem Dachlukenfenster der WG in der Nationalparkverwaltung Sächsische Schweiz und blicke in den dichten Nebel über der Elbe. Nach dem Frühstück gehe ich zwei Stockwerke tiefer im Büro vorbei und hole den heutigen Rucksack mit allen Programmmaterialien: “Nationalpark märchenhaft”. Ich bin unsicher, was ich davon halten soll, mit einer Kindergruppe durch den Nationalpark zu gehen, um ihnen Märchen zu erzählen.
Mit Fähre und S-Bahn kommen meine Mitpraktikantin Magda und ich vorbei am Lilienstein und an der Bastei nach Wehlen. Der Nebel ist inzwischen weg und die Herbstsonne wärmt uns, während wir auf ein paar Bänken auf unsere Klasse warten. Irgendwann sehen wir sie zur Fähre laufen: Wir zählen 16 kleine und drei große Menschen. Wir begrüßen sie und lassen die Kinder kurz noch etwas essen, während wir mit der Lehrerin abklären, wann sie zurück an der Fähre sein müssen und ob es Allergiekinder oder sonst etwas gibt, was wir beachten sollten. Die Lehrerin bereitet uns vor, dass ihre Klasse “verhaltenskreativ” sei und mit einem etwas mulmigen Gefühl machen wir uns auf den Weg in den Wald.
Nach viel Geschubse, Geraufe und Stänkereien auf dem Weg sind wir sehr froh über diesen ungewöhnlich guten Betreuungsschlüssel von 3 Lehrkräften, die uns geholfen haben, diese lebhafte Gruppe in Schach zu halten. An einer Weggabelung, unserer ersten Station, liest Magda ein Märchen vor, wir machen ein Spiel und teilen die Kinder in zwei Gruppen ein. Magda geht mit der Lehrerin und 8 Kindern die Elfenrunde, ich mit dem Rest die Zwergentour. Dafür frage ich die Kinder erstmal, was sie denn so für Zwerge kennen und will eigentlich nur auf Rumpelstielzchen hinaus, aber da sprudeln die Kinder nur so los und erzählen mir von den Bodenzwergen, die in U-Booten durch die Erde fahren, von den Schmiedezwergen, die Werkzeuge herstellen und von den Blitz- und Wolkenzwegen, die für das Wetter verantwortlich seien. Ich muss grinsen, als ich dazu das Leuchten in den Augen der Kinder sehe, und das mulmige Gefühl verschwindet, das ich zu dieser Klasse und zu diesem Programm hatte.
Als wir dann irgendwann doch auf Rumpelstielzchen kommen, lass ich die Kinder zusammen das Märchen erzählen, da wir zwei Mädchen in der Klasse haben, die noch nicht lange in Deutschland wohnen und die Geschichte nicht kennen. Danach spielen wir ein Spiel, bei dem sich die Kinder nur anhand der Stimme erkennen sollen und ich versuche nebenbei, mir ihre Namen zu merken. Wir gehen weiter und ich sage ihnen, dass sie auf dem Weg ganz genau nach Zeichen von den Zwergen suchen sollen und mir Bescheid sagen sollen, wenn sie welche finden. Voller Eifer kommt alle paar Meter Hinweise wie: “Clara, guck mal, ich hab die Badewanne der Zwerge gefunden!”. Das Kind zeigt auf eine Pfütze.
Der Weg führt uns durch die Teufelsschlucht, einem etwas verwunschenen Weg voller Felsen und moosbewachsenem Totholz, bei dem große Menschen immer fluchen, wenn sie sich durch enge Spalten quetschen müssen. Auf dem Weg spielen wir “die Lieblingsspiele der Zwerge”, Highlight der Tour ist aber die Heringshöhle, durch die die Kinder aufgeregt und etwas verängstigt hindurchklettern. Dann treffen wir auf die andere Gruppe und die Kinder tauschen sich aufgeregt über ihre Märchenwesen aus.
Wir machen Mittag, lassen die Kinder noch ein wenig spielen und gehen dann zurück zur Fähre. Auf dem Rückweg unterhalte ich mich noch mit ein paar Kindern über Zwerge und Elfen und mit der Lehrerin über die Kinder und bin ganz zufrieden mit dem Tag. Der Klassenlehrerin ging es gerade heute darum, den Kindern ein wenig Freiraum zu geben, sie nicht noch mehr mit Wissen vollzustopfen und vor allem die Klassengemeinschaft wieder etwas zu stärken. Da war so eine gemeinsame Suche nach Zwergen wohl genau das richtige.
Clara Franz Berenguer
Umweltpraktikantin 2021
Ort
Nationalpark Sächsische Schweiz