33 Jahre Seehundstation Friedrichskoog

Bild: Berglandschaft

Mein Wecker klingelt heute besonders laut. Es ist 8 Uhr morgens, die Sonne scheint bereits hinter einer Nebelschwade, die über den Deich klettert. Irgendwo blökt ein Schaf. Trotz der verlockenden Wärme meiner Bettdecke macht dieser Ausblick Lust auf das Öffnen aller Türen und Fenster auf einmal. Und so fällt mir, einer geübten Langschläferin, das frühe Aufstehen wieder einmal erstaunlich leicht. Kurz darauf schwinge ich mich auf mein Fahrrad. Ich genieße diesen Weg von 10 Minuten, ein kurzer Stopp beim Bäcker nebenan, vorbei am alten Hafen hin zu meiner Arbeitsstelle für die nächsten zweieinhalb Monate. 

Als ich oben ankomme, sind die meisten der Freiwilligen schon auf den Beinen. Die Becken sind geputzt, der Fisch gepackt und für uns in der Tagschicht heißt es nun noch Ausstellungen aufschließen. Es ist der 33. Jahrestag der Seehundstation Friedrichskoog – gefeiert wird dies mit einem großen Sommerfest. Neben dem Verkauf frischer Waffeln und Kaffee bedeutet das vor allem stetiges Kommen und Gehen unterschiedlichster Menschen. Für uns gilt, allesamt mit zufrieden Gesichtern und sensibilisiert für das Leben der Robben im Wattenmeer wieder nach Hause zu schicken.

Zweiundvierzig Kinder tummeln sich drei Tassen Kaffee später um meine Kollegin und mich, halten ihre Rallye-Bögen in den Händen und schauen erwartungsvoll in unsere Richtung.

Irgendwie schaffen wir es, den wirren Haufen vor uns in zwei Gruppen zu teilen. Die Führung kann beginnen. Ein kleines Mädchen fragt mich plötzlich: „Warum führst du uns durch die Station?“. Eine Frage, auf die ich nicht vorbereitet bin. Ich frage zurück: „Warum denkst du denn, mache ich das?“

 „Vielleicht, damit wir wissen, was man alles falsch machen kann.“ Ich bin so begeistert von der Antwort, dass ich mit dieser simplen Weisheit gleich einsteige: Man schützt nur das, was man kennt. Nachdem die Kinder durch das Entwerfen eines Steckbriefes unsere Dauerhaltungstiere kennengelernt und alle Unterschiede zwischen Kegelrobben und Seehunden am Unterwasserfenster entdeckt haben, lasse ich die Kinder verschiedene Arten von Müll an einen Zeitstrahl anordnen. Wie lang braucht wohl eine Plastikflasche, bis sie sich im Meer zersetzt? Und wie lang ein Stück einer Angelschnur? Und was hat unser Müll für eine Auswirkung auf das Leben im Wattenmeer? Die Kinder staunen nicht schlecht angesichts der etlichen Nullen hinter den Ziffern.

Zum Abschluss geht es noch einmal an die Fenster der Ausstellung „Infozentrum Seehund“. Von hier aus dürfen die Kinder endlich einen Blick auf unsere Jungtiere werfen. Alle können verstehen, dass die Tiere so nicht gestört werden und sich nicht zu sehr an den Menschen gewöhnen sollen. „Wenn ich schlafe, soll ja auch niemand um mich rumlaufen!“, bestätigt ein Junge meine Erklärung. Ich brauche nur Fragen zu stellen und mir schwirren Überlegungen entgegen, was ein Heuler überhaupt ist und wie auch wir Menschen Grund für ihre Entstehung sein können. So erarbeiten sich die Kinder das Wissen größtenteils selbst und ich muss nur ein oder zwei Mal schnell die Augen schließen, wenn ich eine Gruppe auf den Rallye-Bogen einer anderen schauen sehe.

Am Ende dieses anstrengenden aber ereignisreichen Tages sitze ich mit den anderen Freiwilligen auf dem Deich und genieße die frische Abendluft. Die Bäuche sind vom gemeinsamen Abendessen gefüllt, genauso die Köpfe von der Flut an Informationen, die hier in uns hinein und gleich mehrfach wieder herausströmt. Aber es ist ein gutes Gefühl, es macht mich froh und auf angenehme Weise erschöpft. Als ich wieder in meinem Bett liege, meine ich noch, das leise Brummen von Juris, unserer Kegelrobbe, zu hören. Dann begrüßt mich der Schlaf.

Henriette Busch

Umweltpraktikantin 2018

Ort

Seehundstation Friedrichskoog